Selbstverantwortung ist momentan besonders wichtig. B2B-Marketer müssen sich darauf verlassen, dass Mitarbeiter ihre Aufgaben auch im Home-Office gewissenhaft erledigen. Hierfür gilt es zu vertrauen, aber auch zu kontrollieren. In seinem Gastbeitrag zeigt Joachim Simon, warum das kein Gegensatz ist.
28. Oktober 2020
Warum zeigen manche Mitarbeiter mehr Eigeninitiative und Selbstverantwortung als ihre Kollegen? Warum sind sie eher bereit, Verantwortung zu übernehmen? Solche Fragen beschäftigen viele B2B-Unternehmen, welche die Agilität ihrer Organisation erhöhen möchten.Dennin unserer modernen, digital vernetzten Arbeitswelt werden die Aufgaben immer komplexer. Zudem sind es verstärkt bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifende Teams, welche sie übernehmen. Deshalb müssen Führungskräfte ihre Mitarbeiter zunehmend an der langen Leine führen. Aber was bedeutet das für die Mitarbeiter? Sie müssen mehr Eigeninitiative und Selbstverantwortung zeigen.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Deshalb zielten alle Management-Systeme, die in den letzten Jahrzehnten en vogue waren, darauf ab, mehr Handlungs- und Entscheidungsbefugnisse auf die operative Ebene zu verlagern – unabhängig davon, ob sie Lean-Management, Total-Quality-Management (TQM) oder Objectives-and-Key-Results-Methode (OKR) heißen. Unabhängig vom gewählten Ansatz, blieben folgende Fragen oft unbeantwortet:
Eine erste Antwort auf diese Fragen lieferte der US-amerikanische Psychologe Julian B. Rotter 1966 in seiner Monografie „Locus of Control“. Darin unterscheidet er zwischen Menschen mit interner und externer Kontrollüberzeugung. Erstere glauben, dass sie durch ihr Denken und Handeln ihr Leben beeinflussen können. Vertreter der zweiten Gruppe hingegen sind überzeugt, ihr Leben werde primär von Umständen bestimmt, die außerhalb ihres Einflussbereichs liegen. „Das bringt nichts“ und „Da kann man nichts machen“ sind typische Formulierungen dieser Menschen. Man hört sie in unserem Kulturkreis oft. Viele Eltern bringen ihren Kindern von klein auf bei, gehorsam zu sein und möglichst keine Fehler zu machen. Deshalb entwickeln viele Menschen früh in ihrem Leben Denk- und Verhaltensmuster, die ihnen später eine selbstverantwortliche Haltung erschweren. In unserer schnelllebigen (Arbeits-)Welt brauchen wir jedoch aktive Gestalter, die bereit sind, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen – also Menschen mit einer internen Kontrollüberzeugung.
In den 1930er-Jahren sagte Henry Ford sinngemäß: „Mein Problem ist, dass ich zu den Händen meiner Arbeiter stets noch ein Gehirn bekomme.“ Heute beklagen Managern eher, ihre Mitarbeiter würden nicht „richtig“ nach- und mitdenken. Doch zum Mitdenken lassen sich nur Menschen motivieren, die überzeugt sind, dass sie den Lauf der Dinge beeinflussen können. Deshalb sollten Personalverantwortliche schon bei der Einstellung von Mitarbeitern darauf achten, wie ausgeprägt deren interne Kontrollüberzeugung ist – und zwar im Hinblick auf den jeweiligen Job.
Selbstverantwortliche Menschen haben ein ausbalanciertes Verhältnis zur Zeit. Bei ihnen sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Denken und Handeln eng miteinander verknüpft. Sie sind mit ihrem Denken nicht in der Vergangenheit verhaftet, sondern zeigen sich offen für Neues. Auch wenn Psychologen oft fordern, man solle stärker in der Gegenwart leben und den Moment auskosten, dürfen Personen, die etwas gestalten möchten, nicht rein nach der Maxime „YOLO – You only live once“ leben. Sie müssen auch aus ihren Erfahrungen lernen und die Konsequenzen ihres Handelns im Blick haben. Selbsterklärte Macher und Problemlöser orientieren sich an der Gegenwart.
Echte Gestalter hingegen orientieren sich in der Regel stark an der Zukunft. Deshalb können sie nicht nur den Verlockungen im „Hier und Jetzt“ widerstehen, sondern auch mutige Entscheidungen treffen. Der Wille, Dinge zu gestalten, ist unauflösbar mit einer positiven Zukunftsperspektive verknüpft. Verliert man dabei jedoch die Gegenwart aus dem Blick, leiden Achtsamkeit und Empathie – wie es bei manchen Top-Managern der Fall ist. Doch diese Eigenschaften sind zwingend erforderlich, um andere Menschen als Mitstreiter für die eigene Zukunftsvision zu gewinnen. Grundsätzlich gilt: Führungskräfte können zwar ihre eigene Kontrollüberzeugung und Zeitorientierung ändern, doch nicht die ihrer Mitarbeiter. Denn diese haben ihre Wurzeln in ihrer eigenen Persönlichkeit und Biografie. Folglich können Manager ihre Mitarbeiter nur entsprechend ihrer Disposition einsetzen und vorhandene „positive“ Tendenzen situativ verstärken, etwa durch Storytelling. Hier geht es darum, als Führungskraft überzeugende Geschichten über die mögliche Zukunft zu erzählen und zukunftsweisende Fragen zu stellen. Das Ziel: Die Mitarbeiter sollen ein Bild der Zukunft entwickeln, das sie motiviert, weil sie ein Teil davon sein möchten. Gerade in Marktumbruchzeiten ist es wichtig, dass Führungskräfte in einem motivierenden Dialog mit ihren Mitarbeitern stehen. Daraus erwächst eine große Handlungsenergie.
Existiert diese Energie, bedeutet dies aber nicht, dassFührungskräfte ihre Mitarbeiter nicht mehr führen müssen, weil diese ihr Potenzial automatisch entfalten. Ein solcher Irrtum wäre fatal. Mitarbeiter unterscheiden sich bezüglich ihrer Kompetenz und Persönlichkeit. Deshalb darf das Vertrauen nie so weit gehen, dass der Mitarbeiter denkt: Meine Führungskraft interessiert sich nicht für mich und meine Arbeit. Im Führungsalltag muss es stets eine ausbalancierte Kontrolle geben:
Hinzu kommt: Um (positives) Feedback geben zu können, muss die Führungskraft die Arbeit des Mitarbeiters wertschätzend kontrollieren. Sonst ist nur ein oberflächliches „gut gemacht“ möglich, das weniger Wirkung entfaltet als eine detaillierte Rückmeldung. Außerdem keimt ohne eine angemessene Kontrolle in Teams oft ein unsoziales Verhalten auf – insbesondere in virtuellen Teams, da hier die wechselseitige soziale Kontrolle weitgehend entfällt. Versuchen einige Mitarbeiter, die Situation zu ihren Gunsten auszunutzen, greift dieses Verhalten auf andere Kollegen über. Irgendwann haben dann verantwortungsbewusste Mitarbeiter das Gefühl: „Wir sind die Dummen.“ Darunter leiden zwangsläufig die Motivation und Selbstverantwortung.
Deshalb sollten Führungskräfte mit Vertrauen führen und zugleich eine adäquate Kontrolle ausüben – und zwar auf Grundlage der Handlungsmaxime: „Ich will sehen, wie gut der Mitarbeiter oder das Team ist.“ Die Kontrolle der Arbeitsweise und Arbeitsergebnisse sollte stets auf Basis eines wechselseitigen Vertrauens erfolgen. Dann entwickeln Mitarbeiter mit der Zeit ein größeres Selbstvertrauen, zeigen mehr Eigeninitiative und handeln selbstverantwortlich.
In seinem Fachbuch Selbstverantwortung im Unternehmen. Was Sie als Führungskraft dafür tun können erläutert Joachim Simon, warum sich Führungskräfte von alten Idealen der Top-Down-Hierarchie und klassischen Attributen wie Stärke, Dominanz, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit verabschieden sollten. Gefragt sind stattdessen Servant-Leadership, Vertrauen, Purpose sowie der Abbau von Hierarchie und Demokratisierung.
Joachim Simon ist Führungskräftetrainer, Organisationsentwickler und Coach. Im September 2020 ist sein Buch „Selbstverantwortung im Unternehmen: Was Sie als Führungskraft dafür tun können“ im Haufe-Verlag erschienen. Zu diesem Thema hält er auch Vorträge und gibt Seminare (online wie offline).
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