Was kann das Marketing tun, damit sich nachhaltiges Handeln auf dem Karma- und Girokonto zeigt?

#SustainableMarketing beginnt mit der Unternehmensstrategie und endet bei der Kampagnen-Ausgestaltung. Damit Unternehmen mit nachhaltigem Marketing erfolgreich sind, müssen sie verschiedene Zielgruppen passgenau ansprechen. Warum psychologische Aspekte dabei entscheidend sind, erläutert Jan Pechmann, Initiator des „Marketing For Future Award“, im Interview.


Nachhaltigkeit für das Karma- und das Girokonto | Haufe Group
© Anna Voelske, Fairmodel

Lieber Herr Pechmann, Ihre berufliche Karriere steht ganz im Sinne der Nachhaltigkeit. Was bedeutet Nachhaltigkeit im Marketing für Sie?

Nun, Nachhaltigkeit ist ein großer Begriff. Um ihn greifbarer zu machen, unterscheide ich im Marketing gern drei Dimensionen. Erstens fungiert das Marketing als Gatekeeper. Die Marketingleitung kontrolliert die Qualität einer Botschaft im Hinblick auf mögliches Greenwashing und entscheidet darüber, ob die Message verbreitet wird. Je besser sie diese Funktion ausübt, desto eher entsteht im Unternehmen ein Bewusstsein für glaubwürdige Kommunikation. 

Zweitens sorgt das Marketing dafür, dass nachhaltige Produkte einfach zu nutzen sind. Hier geht es in erster Linie um deren Positionierung am Markt und ihre Präsentation am POS. Nur, wenn nachhaltige Produkte optimal inszeniert und einfach zugänglich sind, kann sich ressourcenschonender Konsum etablieren. 

Und drittens darf das Marketing natürlich nicht Wasser predigen und Wein trinken, soll heißen: Es muss selbst nachhaltig agieren, indem es seine Kernprozesse nachhaltig gestaltet. Das Marketing ist Teil der Lieferkette. Dass der Nachhaltigkeitsbeauftragte Fragen zum CO2-Fußabdruck des Marketings hat, ist völlig normal. Die Marketingleitung muss wissen, welchen Beitrag ihre Abteilung zur Ökobilanz des Unternehmens leistet. Nur so ist Marketing glaubwürdig und authentisch – nach innen und nach außen.

Das Nachhaltigkeits-Paradigma lautet: Reduce, Reuse, Recycle. Wie lässt sich dies aufs Marketing übertragen?

Auch im Marketing gilt es, weniger Maßnahmen umzusetzen und Materialien sowie Inhalte wiederzuverwenden. Dabei wirkt das Paradigma in alle vier Stufen des Marketingprozesses hinein. Bei der Konzeption einer Kampagne ist Nachhaltigkeit stets als Ziel mitzudenken – trotz aller Kommerzialität. So sollte eine Modemarke, die im Winter einen Werbespot für ihre Sommer-Kollektion dreht, kritisch hinterfragen, ob der Flug in die Karibik wirklich nötig ist. Das Marketing sollte die größten Treiber einer negativen Ökobilanz identifizieren und auf umweltfreundlichere Maßnahmen umsteigen, etwa von Print auf Online. 

Zweite Stufe ist die Produktion. Auch hier geht es um Glaubwürdigkeit und Authentizität. Eine Marke, die für ein veganes Produkt wirbt, sollte dies konsequenterweise mit einem veganen Testimonial tun. Alles andere ist für mich Greenwashing. Oder wenn Unternehmen ein Event planen, sollten Aspekte wie die Anreise, das Catering und die Art des verfügbaren Stroms die Auswahl der Location bestimmen. Wer eine neue Website launcht, kann sie so programmieren lassen, dass sie wenig Datenvolumen verbraucht – Stichwort: Green IT. Es gibt bei der Produktion so unglaublich viele Stellschrauben, an denen das Marketing drehen kann. 

Kniffliger wird es bei der Distribution, dem dritten Schritt. „Dann kompensieren wir den durch eine digitale Mediaschaltung verbrauchten Strom eben“, reden sich viele schön. Ich finde, das Kompensieren gehört verboten. Eine nachhaltige Distribution spielt sich für mich auf der Meta-Ebene ab. Die Frage ist doch: Wie viele Mediakampagnen braucht ein Unternehmen überhaupt? Muss es wirklich so viele Menschen wie möglich an allen verfügbaren Touchpoints erreichen? Oder wäre es nicht vielleicht zielführender, die richtigen Leute an möglichst wenigen Kontaktpunkten anzusprechen? Ich weiß, wie provokant das ist. Wenn man aber zum Beispiel bedenkt, wie viel Strom es bei jedem Einzelnen verbraucht, ein langes Werbevideo zu streamen, gibt es keine Alternative. Ein bloßer Paradigmenwechsel ist hier nicht genug. Denkt man diese Thematik zu Ende, stellt sich die grundsätzliche Existenzfrage: Braucht es eine Website, eine Landingpage oder eine App wirklich?

Die vierte Stufe ist dann das Recycling. Denn ist eine Online-Kampagne abgeschlossen, bleiben die Inhalte häufig online. So entstehen immer größere Content-Friedhöfe, die Unmengen an wertvollen Ressourcen fressen.

Wie können werbetreibende Unternehmen diesem Dilemma entkommen?

Wir müssen uns darauf verständigen, dass weniger tatsächlich mehr ist. Und hierfür muss das Marketing seinen Nachhaltigkeits-Footprint kennen. Problematisch wird es, wenn die größten Traffic-Treiber die meisten Ressourcen verbrauchen. Es ist ehrenwert, den negativen Impact mit Kompensation zu verbessern. Doch dadurch wird etwas Schlechtes noch lange nicht gut.

Ganz auf Marketing zu verzichten, kann doch nicht die Lösung sein.

Das ist natürlich keine realistische Option. Ein nachhaltiger CMO wie Manfred Meindl von VAUDE kennt die Treiber substanzieller Nachhaltigkeit in Kernprozessen, optimiert den Mediaplan entsprechend und verzichtet auf klimaschädliche Maßnahmen, wie etwa den Flug in die Karibik. Und auch die Kommunikation selbst ist so zu gestalten, dass all die positiven Aspekte nachhaltiger Produkte im Vordergrund stehen. Nachhaltigkeit muss Spaß machen!

Apropos Spaß: Auch die Verbraucher müssen sich für Nachhaltigkeit begeistern. Wie also kommen nachhaltige Produkte an den Mann und an die Frau?

Der Erfolg einer Kampagne steht und fällt damit, ob sie die gewünschten Adressaten erreicht. Bei nachhaltigen Produkten gibt es im Wesentlichen zwei Zielgruppen: Junge Menschen, die aus einer ethischen und politischen „Wir wollen es besser machen“-Überzeugung nachhaltige Produkte kaufen. Und Menschen mittleren Alters, die nachhaltige Produkte aus Qualitätsaspekten bevorzugen – im Sinne von „Ich leiste mir das“. Bei der ersten Gruppe geht es um das Wir-Gefühl, bei der zweiten um das Individuum. Eine erfolgreiche Werbekampagne berücksichtigt die jeweilige Motivation, aus der heraus Verbraucher nachhaltige Produkte kaufen. Dementsprechend muss die Ansprache diametral verschieden sein.

Was verleitet uns dazu, nachhaltige Produkte zu kaufen und Marken, die wir seit unserer Kindheit kennen, links liegen zu lassen?

Den Schalter im Kopf umzulegen, ist nicht ganz leicht. Denn es gibt schon einige Hürden, die nachhaltige Produkte überwinden müssen. Da wäre zunächst die Einfachheit. Denn bewusster Konsum kann ganz schön anstrengend sein. Ein nachhaltiges Produkt ist nicht nur teurer, es ist auch schwieriger zu beziehen. Und man muss sich intensiv damit auseinandersetzen, ob zum Beispiel der auf einer Verpackung angegebene Plastikanteil tatsächlich geringer ist als bei normaler Ware. Es muss einfacher werden, nachhaltige Produkte zu kaufen. Und es muss möglich sein, sich unkompliziert über die Fertigung zu informieren. Das gilt übrigens nicht nur im B2C, sondern auch für B2B-Produkte.

Eine ganz wesentliche Barriere sind erlernte Konventionen á la „Grillen ohne Fleisch ist doch kein Grillen“. Wir müssen traditionelle Denkmuster aufbrechen. Und für diese Aufgabe ist das Marketing prädestiniert. Ein professioneller Markenaufbau ist unverzichtbar. Nachhaltige Marken müssen begehrenswert sein. Und deren Produkte sind so überzeugend zu inszenieren, dass sie auf alle Käufergruppen gleichermaßen hip wirken.

Was macht das mit uns als Verbraucher, wenn wir uns bewusst für einen nachhaltigen Lebensstil entscheiden?

Das ist der wunde Punkt. Hier geht es häufig an unser Selbstbild. Viele von uns verstehen sich im Privaten als weltoffene Kosmopoliten. Und zu einer solchen Lebensweise gehören Fernreisen einfach dazu. In letzter Konsequenz muss, wer wirklich nachhaltig leben will, auf Vieles verzichten: nicht nur auf Fernreisen, sondern auch auf das Motorradfahren am Wochenende, auf das neueste Smartphone mit unglaublich viel Datenvolumen, auf das Videostreaming-Abo. Dabei stellt sich die Frage: Was macht das mit Biografien und Grundwerten? Hier geht es ans Eingemachte. Entsprechend sensibel muss das Marketing agieren. Übrigens dies betrifft auch B2B-Unternehmen. Sie sind ebenso gefordert, ihre Rolle in der Welt von heute zu hinterfragen und sich mit ihrem Purpose auseinanderzusetzen.

Und wenn wir nun – aus Überzeugung – nachhaltig sein wollen…

… Dann werden wir schnell feststellen, dass wir uns selbst vielleicht besser fühlen, doch dass sich am Großen und Ganzen erst einmal nichts ändert. Denn die positiven Auswirkungen nachhaltigen Handelns treten zeitversetzt ein. Was wir heute tun, ist wichtig. Doch ob es das Richtige – oder genug – war, zeigt sich erst in Zukunft.

Das klingt ernüchternd.

Ja, das kann es sein. Umso wichtiger ist, dass sich nachhaltiges Handeln nicht nur auf dem Karma-, sondern auch auf dem Girokonto niederschlägt. Und zwar für Unternehmen und für Verbraucher. Kommerzieller Erfolg und Nachhaltigkeit müssen Hand in Hand gehen. Und das gelingt nur, wenn nachhaltige Produkte nicht nur wettbewerbsfähig, sondern auch für Verbraucher sowie Unternehmen verfügbar sind. Hierfür muss das Marketing seine Hausaufgaben in seinen Kernkompetenzen machen: Product, Prize, Placement, Promotion. Es muss die Vorteile nachhaltigen Verhaltens vernünftig vermarkten.

Tun das die Unternehmen nicht schon?

Manchen gelingt das bereits ganz gut, bei anderen ist Nachhaltigkeit immer noch mit einer latenten Spaßbefreitheit verknüpft. Permanent daran erinnert zu werden, man müsse die Welt retten, ist auf Dauer sehr anstrengend. Für funktionierendes Nachhaltigkeitsmarketing muss der Dreiklang zwischen Kreativität, Kredibilität und Kommerzialität stimmen. Vielen Marken mangelt es an Ideen, andere machen tolle Werbung, unter der dann aber ihre Glaubwürdigkeit leidet. 

Welchen Lösungsansatz gibt es?

Abgesehen von überzeugenden Produkten müssen Marketingkampagnen strategisch, inhaltlich und konzeptionell sauber aufgesetzt sein. Wenn es gelingt, Inhalte nachhaltig zu produzieren, mit denen nachhaltige Waren erfolgreich sind, kommen Investoren ganz von allein. Daneben ist es entscheidend, dass das Marketing die Insignien des konventionellen Konsums durch solche der Nachhaltigkeit ablöst und neue Grundwerte etabliert. „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ darf ebenso wenig Ausdruck von Erfolg sein wie die zehnte Content-Kampagne im Jahr.

Eine ganz schön große Aufgabe für das Marketing.

Ja, das ist sie in der Tat. Natürlich löst das Marketing nicht das Grundproblem, doch es kann seinen Teil dazu beitragen, uns alle in Richtung Nachhaltigkeit umzuprogrammieren. Und das wird nicht von heute auf morgen möglich sein. Ich halte es mit Kurt Biedenkopf, der nach der Wiedervereinigung sagte, es würde eine Generation dauern, die Mauern in den Köpfen einzureißen. Er hatte recht.

Herr Pechmann, wir danken Ihnen für das nachdenklich stimmende Gespräch und Ihre mahnenden Worte.

Jan Pechmann (Jahrgang 1974) begann seine Karriere als Gründer der Agentur diffferent, die heute als Strategie-Beratung für Neues Wachstum zu den Thought Leadern der Branche gehört. In seiner Rolle als Initiator des „Marketing For Future Awards“ widmete er sich ab 2022 komplett seiner Passion für Nachhaltigkeitskommunikation. 2023 gründete er die Nachhaltigkeits-Beratung BAM!, die als Purpose GmbH nicht nur Bock auf Morgen macht, sondern vor allem dafür sorgen will, das Marketing und Werbung vom Teil des Problems zum Teil der Lösung werden. www.bock.am

Möglichkeit zur Vernetzung:
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In unserem Leitfaden Markenaufbau im B2B. Was haben Bierdeckel mit der Positionierung von Marken zu tun? erfahren Sie, was beim Aufbau von B2B-Marken zu beachten ist, warum der B2B-Markenaufbau ohne Positionierung nicht gelingt und warum ein strukturiertes Vorgehen entscheidend ist.

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Bernd JUNKER
Bernd JUNKER
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