#FEHLERausradieren: Warum muss sich das Marketing immer wieder neu erfinden?

Menschen machen Fehler, das ist Fakt. Sie passieren natürlich auch im B2B-Marketing. Was zählt, ist der Umgang damit. Warum selbst erfahrenen Marketern Fehler unterlaufen, welche das sind und was Unternehmen besser machen können, erläutert Mediaexperte Thomas Koch in diesem #FEHLERausradieren-Interview.


Das Marketing muss sich immer wieder neu erfinden | Haufe Group
© Alex v. Spreti

Lieber Thomas, das Marketing im Allgemeinen und die Mediaplanung im Speziellen sind per se fehleranfällig. Woran liegt das Deiner Meinung nach?

Zunächst möchte ich festhalten: Fehler sind menschlich. Sie passieren überall, nicht nur im B2B-Marketing. Dennoch gibt es – im Vergleich mit anderen Bereichen – einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied: Wenn Marketern Fehler unterlaufen, kommt niemand zu Schaden – außer vielleicht der Budgettopf. Bei Berufsgruppen wie Ärzten, Fluglotsen, Lkw- oder Busfahrern sieht das ganz anders aus. Da kostet ein Fehler im Zweifel Menschenleben.

Darum sind Sie als Marketer in einer angenehmen Situation: Ihre Fehler haben selten Konsequenzen. Das kann gefährlich sein. Man arbeitet vor sich hin, gemäß dem Motto: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Nein, das ist ein großer Fehler! Der Erfolg des Marketings – und damit Sie als Marketer – muss sich daran messen lassen, ob Sie Ihre Ziele erreichen. Denn die gibt es immer. Meistens sind sie ökonomischer Natur; Umsatz oder Marktanteil vergrößern, etwas in der Art. Und wann verfehlt man sein Ziel? Wenn man die falsche Zielgruppe mit einer falschen Botschaft in einem falschen Kanal adressiert. Sie ahnen, worauf ich hinauswill? Viele Marketingabteilungen wissen nicht, ob sie ihre Ziele erreicht haben. Und wenn ja, wie viele.

Hier verweise ich gern auf das Pareto-Prinzip, das sich wunderbar aufs Marketing übertragen lässt: Nur 20 Prozent der Kampagnen sind erfolgreich. Doch was bedeutet das? Dass den übrigen 80 Prozent der werbetreibenden Unternehmen Fehler unterlaufen sind. Andernfalls wären ihre Kampagnen ja erfolgreich gewesen! Daraus folgt: 20 Prozent der Kampagnen erzeugen 80 Prozent der Wirksamkeit. Marketer sind also gefordert, auf Fehlersuche zu gehen und herauszufinden, wie es ihnen gelingen kann, zu den erfolgreichen 20 Prozent zu gehören.

Das ist ein spannender Punkt. Warum sind so viele Kampagnen nicht erfolgreich?

Meine einfache Antwort: Es gibt zu viele. Man muss sich das mal vor Augen führen. Jeder einzelne von uns – Sie, ich, wir alle – kommen tagtäglich rund 10.000-mal mit Marken in Berührung. Wir sehen Autos auf der Straße, wir holen die Milch aus dem Kühlschrank, wir benutzen unser Smartphone und so weiter. Das heißt: Mit ihrer Kampagne müssen sich Unternehmen jeden Tag gegen 9.999 andere behaupten. Natürlich gehen da viele Kampagnen unbemerkt unter, das liegt in der Natur der Sache.

Was können Unternehmen tun, um gegenzusteuern? Welche Fehler sollten sie vermeiden und wo können sie ansetzen, damit man sie bemerkt?

Wie bereits angedeutet, besteht der größte Fehler im „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Ich erläutere gern, warum ich das so sehe. Wir befinden uns in einem hochdynamischen Markt- und Wettbewerbsumfeld. Produkte verändern sich, Wettbewerber verändern sich, Zielgruppen verändern sich, das Kundenverhalten verändert sich, der Medienmarkt verändert sich. Wie kann es da gelingen, mit der immer gleichen Kampagne, mit dem immer gleichen Mediaplan erfolgreich zu sein? Der logische Menschenverstand sagt uns, dass das unmöglich ist. Wer nichts Neues wagt, fällt nicht auf. Um zu den erfolgreichen 20 Prozent zu gehören, müssen Unternehmen aus der breiten Masse herausstechen. Das geht nun mal nicht ohne Strategie. Und dazu gehört natürlich auch, dass man sich mit der eigenen Zielgruppe auseinandersetzt. Man muss einfach wissen, wer sie ist, wo und wie man sie erreicht. Ein weiterer, gern gemachter Fehler besteht also darin, sich nicht mit den Leuten zu beschäftigen, welche die eigenen Produkte kaufen sollen.

Wen man auch unbedingt kennen sollte, sind die Wettbewerber. Es ist ja nicht so, als würden Märkte ins Unendliche wachsen können. Wenn sich Ihr Marktanteil um fünf Prozent vergrößern soll, muss Ihr Konkurrent eben diese Anteile verlieren. Wissen Sie, wen Sie verdrängen wollen? Und wie? Sie sehen, es läuft auf eine gründliche Beschäftigung mit dem Wettbewerb hinaus. Damit meine ich nicht, dass Sie dessen Produkte analysieren sollen. Nein, es geht um den Mediaauftritt. Welche Botschaften senden Ihre Konkurrenten? In welchen Kanälen? An welche Zielgruppe? Häufig genügt es schon, die gängigen Fachzeitschriften durchzublättern und zu schauen, wer an welchen Messen teilnimmt und wer welche Anzeigen schaltet. Diese Analyse „kostet“ ein paar Stunden Zeit im Monat. So erkennen Sie, wer neue Wege bestreitet – oder auch nicht. Denken Sie an die 80 Prozent. Ihren Wettbewerbern unterlaufen mit Sicherheit Fehler. Und wenn Sie deren Schwächen identifiziert haben, können Sie genau dort ansetzen, indem Sie Ihre Kampagne entsprechend anders gestalten.

Dabei dürfen Sie sich gern die Erkenntnisse aus dem Neuromarketing zunutze machen. Man denke an die 10.000 Markenkontakte pro Tag. Menschen selektieren zwangsläufig die für sie relevanten Botschaften und Kanäle heraus. Wie gelingt es also, dass Ihre Zielgruppe Ihre Kampagne bemerkt? Indem Sie überraschen – nicht nur mit Ihrer Botschaft, sondern auch mit Ihrem Mediamix. Denn trotz KPIs ist das Marketing eine hochemotionale Angelegenheit. Hand aufs Herz: Treffen auch Sie Ihre Mediaentscheidungen aus dem Bauch heraus? Schalten Sie Anzeigen in einem Fachmagazin, weil Sie es seit vielen Jahren gut kennen? Oder investieren Sie mehr Geld in digitale Kanäle, weil alle Welt von der Digitalisierung spricht und Sie glauben, Online-Marketing sei das Richtige für Sie? Dass Sie Entscheidungen emotional treffen, ist nicht schlimm. Es muss Ihnen nur bewusst sein, dass es so ist. Drehen wir den Spieß doch mal um und stellen uns eine Maschine vor, die wir mit Daten füttern. Natürlich trifft sie immer wieder dieselben rationalen, datenbasierten Entscheidungen. Aber nicht nur für Sie, sondern ebenso für Ihre Wettbewerber.

Du sagst also, es ist ein Fehler, sich mit messbaren KPIs zu beschäftigen?

Nein, natürlich nicht. KPIs sind gut, keine Frage. Doch häufig ist es so, dass wir sie nur heranziehen, um uns selbst zu bestätigen. Dabei blenden wir Zahlen, die uns nicht passen, konsequent aus. Und es gibt immer irgendwelche Zahlen, die meine eigene Meinung bestätigen. Darum empfehle ich, einen Mittelweg zu finden. Zahlen ja, aber auch gesunden Menschenverstand und Emotionen zulassen. Nur auf KPIs zu setzen oder ausschließlich Bauchentscheidungen zu treffen, wäre falsch. Wenn Sie zum Beispiel feststellen, dass Ihr Profil auf Facebook keine nennenswerte Reichweite hat – was spricht dagegen, das dortige Engagement einzustellen? Sie müssen einen Kanal nicht nutzen, nur weil es alle tun.

Sich selbst zu hinterfragen und Fehler einzugestehen, ist nicht leicht. Warum lohnt es sich für B2B-Unternehmen dennoch, Fehler ausfindig zu machen und sie auszuradieren?

Menschen wollen Fehler vermeiden, indem sie das tun, was alle machen. Im Marketing ergibt sich daraus eine paradoxe Situation. Man denke an die gute, alte Sportschau. Es gibt sicher keine Brauerei, die in diesem prädestinierten Umfeld noch nicht geworben hat. Ob es zielführend ist, mit einem Dutzend Wettbewerber am selben Touchpoint quasi zeitgleich um die Aufmerksamkeit der identischen Zielgruppe zu buhlen, sei mal dahingestellt.

Darum appelliere ich an die Unternehmen: Seien Sie mutig und experimentieren Sie. Bei Coca-Cola zum Beispiel fließen zehn Prozent des jährlichen Marketingbudgets in Experimente. Das funktioniert auch im Kleinen: Lassen Sie doch ein Experiment jährlich zu. Das kann eine neue Zielgruppe, eine neue Botschaft, ein neuer Kanal oder ein neuer Mediaauftritt sein. Was kann schon schiefgehen? Sie sind ja kein Chirurg. Und wenn Sie experimentieren, vergessen Sie nicht, den Erfolg zu kontrollieren. Im besten Fall ist Ihr neuer Ansatz erfolgreich. Vielleicht stellt er Ihre vermeintlich perfekte Mediaplanung auf den Kopf. Aber das ist doch gut, oder etwa nicht? Im schlechtesten Fall erfahren Sie „nur“, was nicht funktioniert. Und auch derartige Erkenntnisse sind wertvoll, weil man aus ihnen lernt. Fehler einzugestehen, fällt uns Deutschen unheimlich schwer, weil wir immer perfekt sein wollen. Dementsprechend gibt es hierzulande keine ausgeprägte Fehlerkultur – ein Fehler an sich.

Warum ist es wichtig, über den Tellerrand zu blicken und sich marketingtechnisch weiterzuentwickeln – auch mit dem Risiko, dass Fehler passieren?

Ich bekomme oft zu hören: „Unsere letzte Kampagne war erfolgreich. Darum machen wir es wieder genauso.“ Selbst wenn das der Fall wäre – was in Anbetracht der 80-prozentigen Fehlerquote eher fragwürdig ist –, sind die Ziele, die Maßnahmen und Medien immer wieder zu hinterfragen und an die aktuelle Situation anzupassen. Dabei sollten persönliche Meinungen wie „Dieses Medium mag ich nicht“ keine Rolle spielen. Das Radio ist ein solches Medium. Viele Kreative und B2B-Marketer mögen es nicht. Aber warum – wo die Stimme doch hochemotional ist und Podcasts auch im B2B auf dem Vormarsch sind? Vielleicht entpuppt sich Medium XY doch als geeigneter Werbeträger, wenn Sie die Emotion beiseite packen und sich auf rationaler Ebene mit ihm beschäftigen.

Darum würde ich abschließend empfehlen: Versuchen Sie, emotionale Entscheidungen rational zu begründen. Seien Sie selbstkritisch und hinterfragen Sie Ihren Marketingplan. Und last, but not least: Seien Sie mutig und lassen Sie Fehler zu. Nur so haben Sie die Chance, etwas wirklich Neues zu schaffen.

Lieber Thomas, es war wie immer eine große Freude, mit Dir zu sprechen und an Deiner Erfahrung teilzuhaben!

Thomas Koch ist seit 49 Jahren im Media-Business tätig. Mit seiner Beratungsfirma tk-one berät er Unternehmen, Medienhäuser und Agenturen. 2019 gründete er The DOOH Consultancy als erste Beratungsagentur für Digital-Out-of-Home. Thomas Koch ist Kolumnist für Wirtschaftswoche, Absatzwirtschaft sowie Meedia und Autor der Bücher Werbung nervt!, The Media Business For Pioneers und Die Zielgruppe sind auch nur Menschen. Nun ist sein praktisches Arbeitshandbuch Media leicht gemacht im Haufe Verlag erschienen.
 

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Whitney Johnson
Whitney Johnson
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