Warum und wie muss sich die IVW verändern?

Die IVW ist aus der hiesigen Media-Landschaft nicht wegzudenken. Als neutrale Instanz auditiert sie die Verbreitung von Werbeträgern seit über 70 Jahren. Momentan arbeitet die IVW an ihrer Modernisierung. Ein Meilenstein ist das neue Dashboard für die Digital-Ausweisung. Was es damit auf sich hat, schildert Martin Krieg, Director Digital der IVW, im Interview.


Was hat es mit dem neuen IVW-Dashboard auf sich? | Haufe Group
© Martin Krieg

1949 gegründet, auditiert die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW) seitdem die Auflagen von Printmedien. Im Werbemarkt herrscht(e) das zuweilen intransparente Prinzipal-Agent-Prinzip: Der Werbetreibende lässt seine Werbebudgets von einer Mediaagentur planen. Da es dabei zu Konflikten kommen kann, braucht es eine neutrale Instanz wie die IVW, welche die korrekte Verbreitung der Werbeträger nachweisen. Sie auditiert die Auflagenverbreitung von Print-Titeln und die Zugriffe auf digitale Werbeträger, nicht jedoch deren Reichweite. Dafür gibt es beispielsweise die Mediaanalysen der Arbeitsgemeinschaft Mediaanalyse (agma), die Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) und best for planning (b4p).

Wie stellt sich die IVW zukunftsfähig auf?

In diesem Kontext zeichnet sich in manchen IVW-Gremien und -Kommissionen eine Diskussion ab. Während die Auflagenverbreitung von Print-Titeln auch zukünftig gemeldet wird, ist bei digitalen Werbeträgern fraglich, ob die IVW perspektivisch die „Reichweite“, „Verbreitung“ oder „Nutzung“ messen soll. Ein erster Schritt sind die neuen IVW-Ausweisungen via Dashboards – sowohl Print als auch Online. Über die grundsätzliche Bedeutung von geprüfter Media-Reichweite, erste Erfahrungen mit der Digital-Ausweisung und die unvermeidliche Veränderung der IVW spricht Martin Krieg, Director Digital der IVW, im Interview.

Lieber Herr Krieg, warum gibt es seit geraumer Zeit eine Diskussion um die Erhebung der Media-Reichweite?

Weil die „Reichweite“ den Anteil von Personen oder Zielgruppen beschreibt, die Kontakt mit einem Werbeträger haben oder hatten. Nicht umsonst gibt es Bestrebungen, in der IVW-Satzung den Begriff „Zugriff“ dahingehend zu ändern, dass für Digital und Print die „Nutzung“ – eine für digitale Werbeträger seit 1997 auditierte Kennziffer – zählt. Denn die häufigste „Verbreitung“ von Werbung ist heute digital und damit messbar. Wegen steigender Papierpreise und Zustellkosten stellt die Mehrzahl der Medienanbieter Inhalte mittlerweile zusätzlich digital bereit. Die Diskussion um die Cross-Media- und Cross-Plattform-Reichweite wird an anderer Stelle geführt, spielt aber für die zukünftige Relevanz von IVW Digital ebenfalls eine zentrale Rolle.

Eine spannende Thematik. Können Sie uns mehr verraten?

Die IVW zählt nur, wie oft sich ein Printexemplar verkauft hat. Im Digitalbereich verfahren wir ähnlich: Wir zählen nur den Kontakt mit einem digitalen Werbeträger. Zu ermitteln, wer den Kontakt hatte oder wie intensiv der Kontakt war, ist derzeit nicht Aufgabe der IVW.

Und wo entsteht nun der Konflikt bei digitalen Werbeträgern?

Seit 1949 verwendet die IVW Melde- und Prüfverfahren ohne Messung. 1997 haben wir bei der Auditierung digitaler Werbeträger erstmals gemessen, jedoch nur nutzerinduzierte Aktionen. So schließen wir aus, dass zum Beispiel Server-Farmen in Asien mittels Bot-Attacken die Page-Impressions digitaler Werbeträger verfälschen. Weil wir jedoch nicht exakt wissen, wie viele Personen einen Werbeträger nutzen, können wir keine Unique-Clients oder Unique-User ausweisen, sondern nur Page-Impressions und Visits. Wir können einschätzen, dass nur eine Person an einem mobilen Endgerät zum Beispiel eine Nachrichten-App nutzt. Ein Visit entspricht also einem Nutzer – und damit der erzielten Reichweite.

Was ist dann das Problem?

Wir können nicht messen, ob es zwei oder vier Personen in einem Haushalt, 20 Menschen in einem Vereinsheim oder gar 20.000 Fans beim Public-Viewing sind, die etwa eine Mediathek-App nutzen, die über einen Beamer verwendet wird. Bedauerlicherweise gibt es bei der IVW mit Page-Impressions und Visits eben nur zwei Kennziffern für digitale Werbeträger. Und hier beginnt die Diskussion um unsere zünftige Rolle: Damit Werbekunden in Podcasts, Newslettern, Extended-E-Papers und Bezahlinhalten werben können, brauchen sie weitergehende Nutzungsdaten, wie etwa die Nutzungsdauer. Die Frage ist, ob sich die IVW zu einem Media-Rating-Council (MRC) wandeln müsste.

Was hat es damit auf sich?

Als MRC würden wir – wie in den USA – Zertifikate an Messsyteme oder Anbieter-Tools, wie etwa jene von Podcast-Hostern oder Newsletter-Versendern, vergeben – sofern sie unseren neutralen Standards entsprechen.

Das ist interessant. Aber welche Bedeutung hat die Online-Reichweiten-Prüfung durch die IVW überhaupt noch, wenn sich mit handelsüblichen Analyse-Tools theoretisch jede Website analysieren lässt?

Diese Frage bekomme ich ständig gestellt. Bei der IVW geht es um die Prüfung. Auch wir verwenden ein handelsübliches Analyse-Tool – doch mit entscheidenden Besonderheiten, die ich gern am Beispiel einer Waage beschreibe. Die IVW ist für diese Waage das Eichamt. Sie kontrolliert, ob die Wage exakt misst, und überwacht zugleich den Wiegevorgang. In Gremiensitzungen beraten wir unter anderem darüber, wie exakt unser Analyse-Tool messen soll: Nach wie vielen Millisekunden erfolgt ein Mess-Request? Welche Client-Informationen sind erforderlich? Und wie viele Requests dürfen pro Sekunde maximal erfolgen, damit tatsächlich ein Mensch eine Seite aufgerufen haben kann? Zudem richten wir das Messsystem an den Gegebenheiten des Markts und an neuen Webtechnologien aus. 

Kann man das nicht auch von anderen Tools erwarten?

Das Problem ist, dass kommerzielle Analyse-Tools etwaige Anpassungen zuvor weder in Gremiensitzungen diskutieren noch transparent kommunizieren. Wir tun das, und die erarbeiteten Standards für die Messung tragen alle mit. Eben weil jeder weiß, wie ein Mess-Request zustande kommt, könnten ihn unsere Mitglieder manipulieren. Um das zu verhindern, prüfen wir generell schon seit einem Vierteljahrhundert und seit 2019 täglich teilautomatisiert den erhobenen Traffic und unterziehen jedes Angebot zweimal jährlich einer Turnusprüfung: Die IVW kontrolliert sehr detailliert, ob das Messsystem in die Digitalangebote korrekt implementiert ist.

Und hier landen wir zwangsläufig beim Thema Datenschutz.

Richtig. Insbesondere im Gegensatz zu amerikanischen Analyse-Tools entspricht das Messsystem der IVW den datenschutzrechtlichen Vorgaben von DSGVO und TTDSG, setzt neben der Cookie-Richtlinie auch die Urteile von EuGH sowie BGH um und ist auch für die ePrivacy-Verordnung gewappnet. Außerdem kontrolliert der TÜV Süd das Messsystem und die Datenspeicherung in den Rechenzentren. Nicht zuletzt erhebt unser Messsystem den Markt vollumfänglich in einer Zensusmessung: Die IVW betreibt Digital-Audience-Measurement anstelle von Web-Tracking oder Web-Analytics.

Und zeigt die Ergebnisse im neuen Dashboard für die Digital-Ausweisung an. Was ist Hintergrund des Dashboards? Und was hat sich dadurch verändert?

Die Entscheidung, das Dashboard für die Nutzungsdaten digitaler Werbeträger einzuführen, hatte drei Gründe: Zum einen war die alte Ausweisung veraltet und ziemlich langsam. Zum anderen mussten wir die Messung aus datenschutzrechtlichen Gründen umstellen, weshalb Metriken wie der Kategorien-Visit entfallen sind – was unschöne Leerstellen in die Ausweisung gerissen hätte. Zudem arbeiten wir seit zwei Jahren an der Darstellung von Einzelangeboten und Angebotszusammenschlüssen.

Können Sie mehr davon berichten?

Seit Mai 2022 vergleichen wir Einzelangebote und Angebotszusammenschlüsse im Ranking nicht mehr miteinander, nur noch untereinander. Hinzu kommt: Früher mussten bei Zusammenschlüssen nur 80 Prozent des Traffics ausgewiesen werden. Große Zusammenschlüsse konnten kleine Angebote, die in die Nutzungsdaten einflossen, verstecken. Das geht heute nicht mehr. Alle Bestandteile eines Zusammenschlusses, der in einem Monat mindestens 10.000 Page-Impressions erreicht oder mehr als ein Prozent des Gesamt-Traffics des Zusammenschlusses ausmacht, sind vollumfänglich auszuweisen. Und während die Angebotsbestandteile früher prozentual ausgewiesen waren, müssen sie heute mit Kategorien-PIs umfänglich ausgewiesen sein. Man erkennt sofort, in welchen Kategorien Zusammenschlüsse und Einzelangebote ihren Traffic erzielen.

Inwieweit profitieren Werbetreibende davon?

Ich glaube, Werbetreibende und Werbeträger schätzen das Mehr an Transparenz. Interessanterweise haben nicht die Werbetreibenden die Reform angestoßen, sondern zwei Fachmedien. Der eine Werbeträger ist ein Einzelangebot, der andere ein Zusammenschluss, der einen Teil seines Traffics durch die Hinzunahme von Angebotsbestandteilen einer Publikumszeitschrift generiert. Früher war diese Information in der Ausweisung auf der 3. Ebene in einem Pop-Up-Fenster verborgen. Beide Fachmedien standen gemeinsam in der Liste. Ein Angebot war plötzlich in den Top10, das andere nicht. Heute finden sich Einzelangebote und Zusammenschlüssen auf getrennten Listen wieder, und bei Zusammenschlüssen ist ohne viel Klicken im Dashboard ersichtlich, woher der weitere Traffic kommt. Davon profitieren Werbekunde und Werbeträger gleichermaßen.

Apropos Werbeträger: Welche Rolle spielen die Fachmedien in dieser Debatte?

Im Print-Bereich auditieren wir rund 900 Fachzeitschriften. Zudem stammen sicherlich einige hundert der 1.200 IVW-auditierten Digitalangebote, wie etwa Websites oder Apps, aus dem Bereich der Fachmedien. Für diese ist das IVW-Zeichen sehr wichtig. Es belegt, dass eine neutrale Instanz geprüft hat, dass die Werte in den Mediadaten korrekt sind. Dies ist in der Vermarktung viel mehr wert als eine Verlagsangabe oder ein ungeprüfter Wert aus der Web-Analyse. Wir ermitteln neutral ausschließlich die „Größe“ eines Werbeträgers und leisten damit einen wichtigen Beitrag zu mehr Transparenz im Werbemarkt. Je mehr Leser ein Werbeträger potenziell erreicht, desto größer ist die Aufmerksamkeit für eine darin veröffentlichte Werbekampagne – und desto teurer lässt sie sich verkaufen. Darum werben Anzeigenverkäufer so gern mit IVW-Daten. Sie können Rabattschlachten um günstige Werbeplätze umgehen, indem sie neutral nachweisen, dass ein Tausend-Kontakt-Preis (TKP) für eine einseitige Anzeige oder ein Medium-Rectangle gerechtfertigt ist, weil X Kontakte mit dem Werbeträger garantiert sind.

Wohin geht die Reise für die IVW?

Momentan läuft ein Projekt zur Optimierung der Prüfprozesse. Wir wollen künstliche Intelligenz einsetzen und arbeiten mit einem universitären Start-up an einer Lösung. Wir planen, die IVW-Kategorien (teil-)automatisiert mit einem KI-Tool zu prüfen – was sehr effizient ist. Erste Tests zeigen, dass die KI in weit über 90 Prozent der Fälle Ergebnisse erzielt, die fast deckungsgleich mit denen eines menschlichen Prüfers sind. Während der aktuellen Testphase prüfen wir stichprobenartig mit dem Tool, ob zum Beispiel ein Publisher einen Artikel, in dem es um energetische Sanierung geht, in der Nachrichten-Kategorie verortet, während unser menschlicher Prüfer und das KI-Tool den Beitrag im Bereich Wohnen/Immobilien/Garten/ Haushalt besser aufgehoben sehen.

Ergebnis wird eine Art Classifier sein, wie es ihn beispielsweise von Google gibt – mit dem Unterschied, dass es sich um eine deutsche, IVW-geprüfte Lösung handelt. Und hier schließt sich der Kreis zum MRC-Ansatz: Wenn die KI-Lösung funktioniert, könnte die IVW das darauf basierende Tool zur automatischen IVW-Kategorisierung zertifizieren. Ein entscheidender Vorteil in der Post-Cookie-Ära: Nicht Content allein wird zukünftig King sein. Genauso wichtig ist der Kontext, also das Werbeumfeld (Brand-Safety). Neben der programmatischen Buchung wird die Umfeld-Buchung eine Renaissance erleben, davon bin ich überzeugt. Und hier stellt sich die IVW mit dem KI-Kategorien-Tool zukunftsfähig auf.

Herr Krieg, wir danken Ihnen ganz herzlich für das Gespräch und Ihre Offenheit.

Martin Krieg leitet seit 2019 bei der IVW den Bereich zur Erhebung und Ausweisung geprüfter Kennziffern zur Werbeträgerleistung digitaler Medienangebote. Davor hat er die Web-Analyse in der Medienforschung von ZDF Digital verantwortet. Als Kommunikationswissenschaftler sammelte er an den Universitäten Mainz und Trier, in der Leserforschung der Stiftung Lesen und im Digitalbereich der Bertelsmann-Tochter rtv media group langjährige Erfahrung in der Markt-Media-Analyse und im digitalen Werbemarkt. Für seine Arbeiten wurde Martin Krieg unter anderem als bester Nachwuchswissenschaftler und mit dem Lehrpreis ausgezeichnet.

Möglichkeit zur Vernetzung:
Martin Krieg auf LinkedIn

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Bernd Junker
Bernd Junker
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