#FEHLERausradieren: Warum ist der Faktor Mensch beim Programmatic-Advertising entscheidend?

Programmatic-Advertising erlaubt, Online-Anzeigen automatisch an passende Zielpersonen in Echtzeit auszuspielen. Doch wer sich allein auf die Technik verlässt, riskiert Pannen. Unternehmen müssen erkennen, dass der Mensch in Zeiten von KI und Machine Learning mehr denn je gebraucht wird. Nur so können sie #FEHLERausradieren und #BESSERwerden, meint Media-Experte Zoja Paskaljevic


Der Faktor Mensch beim Programmatic-Advertising| Haufe Group
© Anne Domdey

Lieber Herr Paskaljevic, bei Programmatic-Kampagnen passieren immer wieder Pannen – Ads erscheinen nicht im gewünschten Umfeld oder der Werbeerfolg bleibt aus. Woran liegt das?

Es ist immer möglich, dass Anzeigen im falschen Kontext erscheinen. Das liegt jedoch nicht am Programmatic-Advertising an sich. Wenn man ein Anzeigenpaket zu einem super Preis bucht, ist man nicht so flexibel, und Steuerungsmechanismen sind limitiert. Das stört Unternehmen, die primär an Performance, also etwa an einer hohen Click-Through-Rate (CTR) interessiert sind, vorerst zumeist nicht. Es ist es ihnen nicht so wichtig, wo die Anzeigen erscheinen, sondern, dass möglichst viele User klicken. Sicher ist gerade in Zeiten von Krisen und Pandemien eine gewisse Sensibilität gefragt. Es ist natürlich unerträglich, wenn eine Werbeanzeige neben einem Foto mit Menschen, die bombardiert werden, erscheint. 

Das heißt, weil die Kunden zu preissensibel sind, kommt es zu Pannen?

Ja, die Preissensibilität ist tatsächlich ein Problem. Qualität gibt es nicht zum Nulltarif, das ist auch bei Platzierungen in der Werbung der Fall. Aber oft sind auch andere Faktoren, wie etwa mangelndes Know-how, Zeitnot und eine dünne Personaldecke in Agenturen, Auslöser für Fehler im Programmatic-Advertising. Es gibt zwar auf Agenturseite viele Leute, die wissen, was sie tun, doch angesichts der steigenden Beliebtheit von Programmatic-Advertising und des Mangels an spezialisierten Fachkräften kann es schwierig werden. Manchmal hat der Kunde vielleicht nicht genau gesagt, welche KPIs für ihn wichtig sind, wusste vielleicht gar nicht, dass er das tun sollte. Es fehlen bei der recht neuen Werbeform noch immer Standards in der Wertschöpfungskette „Kunde – Agentur – Medium“. Entsprechend groß sind die Stolperfallen. Es bedarf eines guten Gesamtprozesses und fähigen Menschen auf beiden Seiten. Zeit- und Preisdruck, missverständliche Briefings oder Missverständnisse in der Kommunikation können zu Problemen führen. 

Dann sind der Faktor Mensch und funktionierende Prozesse fast noch entscheidender?

Ganz genau. Beim Programmatic-Advertising denken immer noch viele: Wenn ich vorne ein Briefing reinstecke, kommt hinten die fertige Kampagne raus. Dem ist aber nicht so. Die Technologie ist stark und an sich gut, aber sie braucht ein menschliches Gehirn, das sie steuert. Google optimiert ja auch nicht eigenständig. Es sind Menschen nötig, die den Algorithmus einschätzen und entsprechend handeln können. Im Programmatic-Advertising sollte man im Idealfall täglich justieren: Es gibt viele Line-Items, und man muss immer schauen, welches Line-Item gut performt, welches underperformt, wo Viewability- oder Brand-Safety-Probleme auftreten. Und dann stellt man die Kampagne entsprechend um.

Wenn man klare Ziele, ein unmissverständliches Briefing und realistische Vorstellungen über Kosten und Leistungen hat, liegt es am Ende am Campaign-Manager der Agentur, alles optimal zu handhaben. Um eine Kampagne richtig aufzusetzen, zu steuern und fortlaufend zu optimieren, braucht es viel menschliches Gehirn. Dann ist die Technologie sehr hilfreich, da sie viele Möglichkeiten für ein passgenaues Targeting in Echtzeit bietet. Vor ein paar Monaten gab es ein Interview mit der CEO von GroupM, in dem sie sagt, dass sie für Programmatic-Kampagnen ungefähr fünfmal so viele Mitarbeiter wie für TV-Kampagnen braucht. Klar, denn TV-Werbung ist ein Geschäft mit hohen Volumina, eingespielt seit Jahrzehnten. Jeder hat seinen Zollstock entwickelt und weiß genau, wie er den Erfolg bemessen kann. Wenn ich aber den TV-Zollstock auf Programmatic-Advertising lege, passt die Skala nicht mehr. Ich kann nicht erwarten, dass ich meine KPIs genauso gut erreiche. Beim Programmatic-Advertising haben wir atomisierte Buchungseinheiten, und in Zeiten von Third-Party-Cookies gibt es mannigfaltige Möglichkeiten für ein zielgerichtetes Advertising und Targeting. Alles ist wesentlich komplexer.

Und die Prozesse? Funktioniert das Zusammenspiel der einzelnen Player beim Programmatic-Advertising anders als im klassischen Marketing?

Früher hatten Unternehmen meist nur einen Ansprechpartner bei ihrer Full-Service-Agentur. Heute arbeiten sie mit sieben bis zwölf spezialisierten Dienstleistern zusammen, die allesamt durch ihre Brille schauen und nicht auf das Zusammenspiel achten. Und ganz ehrlich: Dafür werden sie auch nicht bezahlt. Daraus ergibt sich eine gewisse Herausforderung. Denn Programmatic-Advertising braucht ein koordiniertes Vorgehen gerade von Media-, CRM- und Kreativ-Agentur. Nur wenn die Rädchen ineinandergreifen, ist es möglich, das richtige Werbemittel zur richtigen Zeit im richtigen Umfeld auszuspielen. Das Vorgehen in der Kreation ist übrigens auch ganz anders: Früher wurde ein großartiger TV-Spot für andere Medien angepasst. Heute funktioniert das nicht so einfach, da beim personenbezogenen Targeting extrem viel zu beachten ist. Technisch kann es passieren, dass eine Katzenfutter-Werbung in einem Hunde-Umfeld oder eine Steak-Werbung in einem Vegetarier-Umfeld erscheint. Das lässt sich jedoch mit menschlicher Intelligenz verhindern.

Davon abgesehen, was können Unternehmen noch tun, damit Programmatic-Advertising erfolgreich ist?

Ich würde jedem empfehlen, sich erst einmal detailliert mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das bedeutet, sich viel Know-how anzueignen, klare Anforderungen zu definieren und realistische Erwartungen zu entwickeln. Die Vorstellung, man nehme Programmatic-Advertising, ein Budget X und dann läuft schon alles, ist falsch. Wenn ich als Agentur ein Briefing bekomme à la „Kauf drei gelbe Äpfel“, dann mache ich das, und der Kunde erhält einen Report über genau die drei gelben Äpfel. Wenn der Kunde jedoch im Dialog mit der Agentur differenziertere KPIs festlegt und Reporting-Anforderungen vorab vereinbart, bekommt er im Nachgang eine viel detailliertere Auswertung – sofern er diese Agenturleistung angemessen vergütet und keinen niedrigen Fixpreis erzwingt. Man muss mit seiner Agentur ins Gespräch gehen. Manchmal will sich keiner eine Blöße geben. Doch Kunden müssen den Mut haben, Fragen zu stellen und Erklärungen von den Spezialisten zu fordern.

Sollten denn gerade beim Programmatic-Advertising die Agenturen mehr führen, weil sie die Spezialisten sind?

Eine Agentur sollte dem Kunden dabei helfen, den richtigen Weg zu finden, da sie beim Know-how immer einen Schritt voraus ist. Arbeitet man intensiv und vertrauensvoll zusammen, passieren Fehler wesentlich seltener. Und ist mal etwas schiefgelaufen, kann man schnell gegensteuern und daraus lernen. Der Kunde sollte zwar immer die inhaltliche Führung haben, doch eine Art technologische Leitung durch Agenturseite kann durchaus hilfreich sein. In Deutschland ist es – im Gegensatz zu Ländern wie England – nach wie vor sehr ausgeprägt, dass der Kunde sagt, wo es langgeht. 

Haben Sie selbst Pannen beim Programmatic-Advertising erlebt? Und was waren Ihre Learnings?

Mir fallen spontan zwei Beispiele ein, die zeigen, dass beim Programmatic-Advertising der Teufel oft im Detail steckt und dass man das Preis-Leistungs-Verhältnis von Werbeangeboten einschätzen können sollte: Ein Advertiser aus der E-Commerce-Branche hatte verschiedene Agenturen, die alle gut gearbeitet haben. Aber die gewünschte Performance wollte sich einfach nicht einstellen, obwohl alle anhand der erreichten KPIs belegen konnten, dass die Kampagne funktionierte. Das Problem: Die Verlinkung zum Warenkorb war falsch, sodass der generierte Traffic zu einem anderen Produkt-Warenkorb führte als beabsichtigt. Und manchmal wurde vergessen, einen Geo-Blocker zu setzen, sodass man Kontakte aus Asien bekam, was gar nicht das Ziel war. Ein weiteres Beispiel ist eine Videokampagne, für die der Kunde Platzierungen ohne Ton eingekauft hat. Das kann man machen, doch in dem Fall war der Ton sehr wichtig. Wenn man die Werbung zum günstigen Paketpreis einkauft, ist der Ton häufig nicht dabei, und es passieren solche Fehler. 

Ihr abschließendes Wort zum Thema?

Es braucht mehr Aufmerksamkeit und Stringenz in der Kampagnen- und Agentursteuerung. Unternehmen müssen einen Weg finden, sich Know-how anzueignen, um die Kernelemente ihrer Kampagne gut planen und steuern zu können. Man muss ein gemeinsames Verständnis aller Player und eine funktionierende Kollaboration etablieren. Es liegt nicht am Programmatic-Advertising an sich, wenn Fehler entstehen. Mit den passenden Ressourcen und kompetenten Menschen lassen sich Kampagnen sehr erfolgreich umsetzen. Das Zusammenspiel von Mensch und Maschine ist dabei sehr wichtig. So muss sich der Mensch auch beim Programmatic-Advertising klar machen: Was erlaube ich der KI? Was kann oder muss ich auf jeden Fall selbst machen? Wir sollten die Zeit, in der wir noch Tracking-Cookies haben, nutzen, um zu lernen. Und danach aus diesem Erfahrungsschatz schöpfen, denn Digitalisierung und Automatisierung gehen immer weiter. Es wird auch in Zukunft Möglichkeiten für ein personenbezogenes Targeting geben.

Herr Paskaljevic, wir danken Ihnen sehr für das interessante Gespräch und die Einblicke, die Sie uns eröffnet haben!

Im Anzeigenmarketing der Verlagsgruppe Handelsblatt ausgebildet, startete Zoja Paskaljevic bei Mediacom. Er wechselte als Head of TV zu Optimedia, bevor er Geschäftsführer bei CIA Medianetwork wurde. Es folgten CEO-Positionen bei WPP, Omnicom und Dentsu. Seit 2018 ist Zoja Paskaljevic Partner bei Ciesco, einer internationalen M&A-Beratung mit Hauptsitz in London und bei [k|b]. Außerdem betreut er weitere Direktmandate im Umfeld Marken, Medien, Agenturen über seine Consultancy „Selectwork“.

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Bernd Junker
Bernd Junker
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