Wie gelingt es, Werbefilme nachhaltig zu produzieren?

Filmproduktionen sind per se wenig nachhaltig – vom Transport schweren Equipments über den hohen Stromverbrauch bis hin zum Bau von Requisiten und dem unverzichtbaren Catering. Dass es im Sinne von #SustainableMarketing auch anders geht, zeigt David Kettner mit seinem Filmproduktionsunternehmen Picsters.tv.


Wie gelingt es, Werbefilme nachhaltig zu produzieren? | Haufe Group
© David Kettner

Lieber Herr Kettner, was hat Sie dazu veranlasst, Ihre Filmproduktionsfirma nachhaltig auszurichten?

Privat beschäftige ich mich sehr intensiv mit Nachhaltigkeit. Wir dürfen nicht mehr die Augen davor verschließen, dass wir uns inmitten einer globalen Klimakrise befinden. Für mich ist das Jahr 2023 entscheidend. Das 1,5-Grad-Ziel zu halten, ist meines Erachtens nur sehr schwer umsetzbar – oder gar nicht mehr möglich. Umso wichtiger ist es, jetzt entschlossen gegenzusteuern – und zwar nicht mit plakativem Greenwashing, sondern im Daily-Business. Jeder ist gefordert, seinen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit zu leisten. Also fange ich bei meinem eigenen Unternehmen an.

Was genau tun Sie?

Ich habe unlängst meine Fortbildung als IHK-zertifizierter Green-Consultant abgeschlossen und engagiere mich im Verband deutscher Werbefilmproduzenten in der Arbeitsgruppe „Green Production“, die wir vor gut zwei Jahren ins Leben gerufen haben. Gemeinsam mit dem Verband der Werbefilmproduzenten sowie anderen Inhaberinnen und Inhabern von Produktionsfirmen veranstalte ich Workshops und arbeite an ökologischen Standards für die Werbefilmproduktion. Wir gehen davon aus, dass unser Regelwerk Anfang Q2 fertig sein wird. 

Was hat es damit auf sich?

Die wichtigsten Vertreter der deutschen Filmindustrie haben sich im Juni 2022 auf verpflichtende Mindeststandards geeinigt. Das ist gut und wichtig, denn die Filmbranche ist sehr energieintensiv. Ein „Tatort“ hat 24 Drehtage. Pro Minute werden dabei 1,55 Tonnen CO2 emittiert. Wir als Werbefilmproduzenten haben viel weniger Zeit für unsere Projekte und brauchen darum mehr Energie in kürzerer Zeit. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Agenturlandschaft  dafür zu sensibilisieren und Aufmerksamkeit für unser Anliegen zu wecken. Mein Ziel ist, dass Werbeagenturen ihre Kunden ermuntern, nachhaltige Werbe- und Marketingmaßnahmen umzusetzen. Theoretisch ist so vieles möglich. Momentan scheitert manches noch an der Praxis. Doch immer mehr Unternehmen fragen grün produzierte Kampagnen an. Hier findet ein spürbares Umdenken statt – was ich sehr begrüße.

Lassen Sie uns zur Filmproduktion kommen. Was macht Ihre Filme „grün“?

Eine wichtige Maßnahme ist, dass wir Green-Consultants beschäftigen. Dank meiner Fortbildung kann ich deren Kompetenz nun sehr viel besser einschätzen. Die zentrale Aufgabe von Green-Consultants besteht darin, das Produktions-Setting möglichst energieeffizient anzulegen. Dafür nehmen sie zunächst alle CO2-Hotspots unter die Lupe und achten bei der Planung von Anfang an auf Nachhaltigkeit. Eine sorgfältige Pre-Production ist entscheidend. Sie beginnt beim Script, reicht über Transport und Requisite, bevor sie beim Catering endet. Wir versuchen, an jeder einzelnen Stellschraube zu drehen. Ein sehr wichtiges Hilfsmittel ist ein CO2-Kalkulator. Wir eruieren genau, wo wir Energie sparen können, und gehen dann auf die jeweiligen Head-of-Departments zu. Denn an einem Dreh sind die unterschiedlichsten Gewerke beteiligt. Durch all das dauert die Pre-Production zwar etwas länger, doch die anfänglichen Mühen zahlen sich am Ende aus.

Welche sind denn die größten Stromfresser und Kohlenstoffdioxidemittenten?

Da gibt es so unglaublich viele. Allein das Reisen und der Transport des schweren Equipments erzeugen sehr viel CO2. Doch auch Energie und Müll verursachen Emissionen. Darum bleiben wir nach Möglichkeit in Europa und ziehen die Drehorte zusammen. Wir versuchen, mit dem ÖPNV anzureisen und Elektro-Transporter in den jeweiligen Städten zu mieten. Das ist meistens schwierig. Denn es gibt nicht genug E-Fahrzeuge. Und vollgepackt mit tonnenschwerer Ausrüstung beträgt die Reichweite unter Umständen nur noch hundert Kilometer. Da braucht es zwingend kurze Wege.

Und wenn Ihr Kunde nicht in Deutschland drehen will, weil es im Ausland günstiger ist?

Versuchen wir, ihn von Alternativen zu überzeugen. Kürzlich haben wir einen Werbespot für den elektrischen Kleinbus eines deutschen Autobauers produziert. Im Spot fährt das Fahrzeug eine Küstenstraße am Meer entlang. Doch wir haben Deutschland überhaupt nicht verlassen. Der Film ist in einem virtuellen Studio mit einer 360-Grad-Videowall entstanden, die Hintergründe fotorealistisch darstellt: Der Kleinbus stand in der Mitte des Studios, im Hintergrund lief der Loop auf den LED-Wänden, und die Kamera trackte gewisse Punkte. So sieht es später im Video aus, als würde sich der Wagen bewegen. Überhaupt sind LEDs 70 Prozent energiesparender als herkömmliche Beleuchtung. Seinen Strom bezieht das Studio bestenfalls von der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach.

Wenn wir an einem Set ohne Feststrom drehen, verwenden wir Hybrid-Generatoren. Der klassische Diesel-Generator hat eine Ausbeute von nur 30 Prozent, die restliche Energie verpufft. Und wir brauchen Unmengen an Starkstrom. Moderne Hybrid-Generatoren haben einen Akku, der nebenbei aufgeladen wird und dann wieder Energie freigibt. Hier gibt es bereits innovative Lösungen von Technikherstellern, die eine nachhaltigere Produktionen ermöglichen. Wenn wir auf Kuriere oder Lieferdienste angewiesen sind, achten wir darauf, dass sie im besten Fall ohne Auto auskommen oder Elektrofahrzeuge nutzen. Es gibt so viele tolle Dienstleister, in allen Bereichen – bis hin zum komplett autarken Filmstudio. Man muss sich nur die Mühe machen, diese Partner zu finden.

Was gehört sonst noch zu einer grünen Produktion?

Unverzichtbar ist zum Beispiel das Catering. Wir achten darauf, weniger Fleisch zu essen – idealerweise verzichten wir komplett auf tierische Produkte. Auch Verpackungsmüll zu reduzieren und nur so viel zu ordern, wie tatsächlich gegessen wird, ist wichtig. Wenn wir uns von einem großen Catering-Dienstleister versorgen lassen, schauen wir darauf, dass dieser möglichst nachhaltig ist: saisonale Lebensmittel aus der Region, grüner Strom in der Küche und so weiter. Durch vegetarisches, saisonales und regionales Catering lassen sich – im Gegensatz zu konventioneller Mischkost – bis zu 40 Prozent CO2 einsparen. Um die Leute an Bord zu holen, ist es wenig zielführend, die Klimakeule zu schwingen. Besser ist es, positive Anreize in Form einer Incentivierung zu schaffen. Und immer realistische Ziele zu verfolgen.

Das Set-Design und die Requisiten sind hierfür ein gutes Beispiel. Natürlich können wir auf beides nicht verzichten. Doch wir versuchen, Requisiten aus dem Fundus oder privatem Besitz zu nehmen und Bauteile wiederzuverwenden. Der Klassiker ist, dass Requisiten mit Wert im mittleren fünfstelligen Bereich nach einem Dreh in den Müll fliegen. Das ist unhaltbar! Bauen wir Requisiten, verwenden wir FSC-zertifiziertes Holz, lösungsmittelfreie Klebstoffe und schadstofffreie Farben. Wir ermutigen die Schauspieler, ihre eigene Kleidung zu tragen, oder kaufen sie im Second-Hand-Laden – alles ganz spielerisch und ohne erhobenen Zeigefinder.

Und wenn wir die Postproduktion bei uns im Büro machen, nutzen wir dafür den vorhandenen Ökostrom. Sourcen wir diesen Arbeitsschritt aus, dann idealerweise an einen Postproducer, der ebenso grün ist wie wir selbst. Zudem achten wir auf papierlose Prozesse, haben Zeitschaltuhren an den Steckdosen angebracht, drehen die Heizung runter, verwenden Mehrwegflaschen und dergleichen. Es geht, man muss nur seine Hausaufgaben machen.

Der Aufwand scheint recht groß zu sein. Wie wirkt sich das auf die Produktionskosten aus?

Nachhaltige Produktionen sind circa ein bis drei Prozent teurer als konventionelle. Das klingt zunächst nicht viel. Doch es gibt Firmen, die sich selbst als nachhaltig erachten und dennoch nicht bereit sind, etwas mehr zu zahlen. Aus diesem Grund betreiben wir aktives Nudging: Wir versuchen, eine Verhaltensänderung zu bewirken – bei allen Beteiligten. Von den Unternehmen über die Agenturen bis hin zu den beteiligten Produktionsunternehmen. Es geht darum, sich an einen Tisch zu setzen, für die Thematik zu sensibilisieren und gemeinsam einen Katalog nachhaltiger Maßnahmen zu erstellen. Ein großer Hebel ist der Verweis auf das Rechtskataster. Es gibt Richtlinien, die Unternehmen einhalten müssen – auch im Marketing. Dazu gehören unter anderem die Gesetze des Umweltrechts, das Klimaschutzgesetz, das Ressourcen-Effizienz-Programm und die Vorgaben des Abfallrechts.

Haben das die Marketingverantwortlichen denn nicht auf dem Schirm?

Sie sind an Nachhaltigkeit interessiert, fragen sich aber oft, wie grüne Produktionen aussehen und was genau dafür zu tun ist. Und manche sind noch nicht an dem Punkt, umzudenken. Doch wir befinden uns spürbar inmitten eines Transformationsprozesses. Glaubwürdigkeit und Authentizität sind mir dabei sehr wichtig. Ich stehe zu meinen Prinzipien und produziere beispielweise keine Werbung mehr für große SUVs. Einfach, weil ich davon überzeugt bin, dass dies der einzig richtige Weg ist. Auch die Unternehmen können sich nicht mehr wegducken – schon allein wegen der aktuellen Gesetze. Das Lieferkettengesetz und die CSR-Richtlinie werden ihr Übriges tun.

Selbst der nachhaltigste Marketingleiter, ich denke hier an Manfred Meindl von VAUDE, würde auf verlorenem Posten kämpfen, erhielte er von der Geschäftsführung nicht die nötige Rückendeckung. Natürlich kommt es immer wieder vor, dass sich Marketingverantwortliche der Thematik überhaupt nicht bewusst sind. Dann ist es an uns, überzeugende Use-Cases zu präsentieren und nachhaltig produzierte Videoformate den klassischen gegenüberzustellen – und zwar anhand von Daten, Zahlen und Fakten: Konventioneller Strom am Set erzeugt 0,34 Kilogramm CO2 pro Kilowattstunde, bei Ökostrom sind es nur 0,02 Kilogramm. Je mehr Daten wir haben, desto mehr Rückschlüsse können wir ziehen. Und desto bessere Argumente haben wir für nachhaltige Werbefilmproduktionen. Der Impuls hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften muss letzten Endes vom Management kommen. Ich bin der Meinung, dass jedes Unternehmen einen Head of Sustainability und Umweltmanagement braucht. Dessen zentrale Aufgabe ist, Nachhaltigkeit in Vision und Mission zu etablieren. Das ist der Weg, den alle Firmen einschlagen müssen.

Lieber Herr Kettner, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg beim Erreichen Ihrer Ziele.

David Kettner ist geschäftsführender Partner und Executive Producer bei Picsters.tv, einem internationalen Filmproduktionsunternehmen. Als Management- und Videomarketing-Experte mit starkem Produktionshintergrund ist David Kettner auf die Entwicklung nachhaltiger Videomarketing-Strategien und die Produktion qualitativ hochwertiger, kreativer Bewegtbildinhalte spezialisiert – von Werbespots über Imagefilme bis hin zu anderen Markeninhalten. Der IHK-zertifizierte „Green Consultant Film & TV“ engagiert sich für nachhaltige, grüne Produktionen und teilt sein Know-how im Verband deutscher Werbefilmproduzenten.

Möglichkeit zur Vernetzung:
David Kettner auf LinkedIn
David Kettner auf Xing

In unserem Gewusst wie: Marketingplanung erfahren Sie, wie Sie Ihren Marketingplan mit dem Sechs-Stufen-Modell schrittweise erarbeiten.

In unserem Media Center finden Sie all unsere etablierten Werbeträger in der Übersicht.


Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers verzichtet.
Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

Stefan Krause
Stefan Krause
Ihr Ansprechpartner bei Haufe Media Sales

 

Tel.: +49 40 211165 41
E-Mail: Stefan.Krause@haufe-lexware.com